
Alexander Kiessling
Österreich
Wie viel Information kann ein Bild transportieren, beinhalten und wiedergeben? Welche Realitäten bildet es ab? Kann ein Gemälde ebenso eine zeitliche Abfolge vermitteln wie ein Film? Und was ist Wirklichkeit, gibt es nicht stets mehrere Realitäten – und welche Rolle spielt dabei die Perspektive und Erfahrung jedes Einzelnen? Bildrezeption auf schwankendem Terrain? Auch der österreichische Künstler Alexander Kiessling (*1980 Wien, Österreich) gibt darauf keine gültigen Antworten, visualisiert jedoch in seinen Werkserien gekonnt diese Fragestellungen. Zugleich lotet er damit die Möglichkeiten und Grenzen der Malerei aus – und das in einer singulären und eindrücklichen Formensprache. Wie spielerisch und gekonnt sich die Malerei auch in der „Digitalen Moderne“ nach wie vor behauptet, ja sogar die Ästhetik des Digitalen antizipiert und höchst spannend umzusetzen vermag, zeigt die Malerei von Alexander Kiessling. Er ist in erster Linie Maler – ein Maler, der sich jedoch auch mit den verschiedenen Programmen und Tools der Künstlichen Intelligenz, ihren technischen und formalen Möglichkeiten auseinandersetzt, um dann mit großer Freude und Leidenschaft zum Pinsel zu greifen und die gewonnenen Erkenntnisse in der Malerei umzusetzen. Wie etwa in den Serien „Shift 1“ und „Shift 2“. Bereits der Titel weist auf das zentrale Thema hin: das Arbeiten in verschiedenen malerischen Schichten, das Verschobene, das Verrückte, sich Verlagernde, aber auch Bewegung und Wandel. Kiessling entwickelt Porträts, mit einem gewissen Twist zu einer digitalen Ästhetik, die sich der traditionellen Erwartungshaltung an das Genre entziehen. Denn die Köpfe erscheinen, als wären sie durch einen digitalen Filter gelaufen. Doch der Effekt wird mittels analoger Malerei erreicht. In „Shift 1“ ging Alexander Kiessling noch einen Schritt weiter und setzte verschiedene ineinander verwobenen Ansichten eines Kopfes – vom Knochenschädel bis zum Porträt – in ein Bild. Eindrücklicher kann man Zeit wohl nicht darstellen – ein Memento mori, das uns unmissverständlich unsere Endlichkeit vor Augen führt. Kiessling ist jedoch weit entfernt davon, didaktische Narrative in seiner Malerei zu transportieren. Es sind Gedankenschleifen und auch eine reflexive Auseinandersetzung mit der Malerei selbst. So versteht er seine Bilder maximal als Anregungen zur Auseinandersetzung, als „Möglichkeitsräume“, so Kiessling. Zugegeben kein einfaches Unterfangen, fordern uns die Bilder doch auf, bekanntes Terrain zu verlassen, und greifen dort ein, wo die Irritation der Rezipient:innen opportun, um nicht zu sagen notwendig, erscheint – also permanent. Schonungslos zeigen sie das prekäre Verhältnis zwischen Wahrnehmung, Wirklichkeit und Interpretation derselben auf. Das gilt auch für Kiesslings „Reals“, in denen er uns in fantastische, surreale Bildwelten entführt. Es sind Bilder, die allein schon durch ihre Größe und malerische Finesse, die Farben und die Lichtstimmung beeindrucken. Doch je länger man sie betrachtet, desto mehr Details werden sichtbar. Sie sind ein Versuch all das, was sich in den verschiedenen Ebenen der Realität von Technik, Wissenschaft, Soziologie, Religion und dem alltäglichen Leben abspielt und entwickelt, mit all seiner Ambivalenz visuell erfahrbar zu machen. Nicht als Erklärung – wer kann schon die Welt erklären? –, sondern als Gedankenspiel. „Ich interessiere mich für viele Themen“, so Alexander Kiessling, „aber ich maße mir nicht an, ein Experte zu sein, eine fundierte wissenschaftliche Auskunft zu geben. Genau das ist das Privileg, das man als Künstler hat. Ich kann mich mit vielen Themen beschäftigen, ohne eine empirische Forschung anzustellen, und meine Gedanken in der Malerei umsetzen.“ So hat der Künstler die Möglichkeit, sein Denken zu visualisieren, und das jenseits aller naturwissenschaftlicher Parameter, unmittelbar, komplex und unglaublich sinnlich.
