Emmanuel Moralès

Frankreich

Emmanuel Moralès (*1973 Blois/Frankreich) studierte 1996–2000 an der École nationale supérieure d’Art in Bourges. In seiner Malerei setzt er sich mit digitalen Techniken auseinander und lotet deren technische Möglichkeiten für die Umsetzung in analoge Bildwelten aus. Die Malerei war stets verbunden mit neuen technischen Entwicklungen und so wendet Moralès auch wie selbstverständlich das Computerbild als Matrix für seine Bilder an und versucht sich dadurch neue Bildkompositionen zu erschließen. Doch wie der Philosoph Ernst Bloch bereits in Kapitel 1 seines Kompendiums „Das Prinzip Hoffnung“ formulierte, heißt „Denken Überschreiten. So jedoch, dass Vorhandenes nicht unterschlagen, nicht überschlagen wird.“ So ist Moralès’ Thema immer noch die Malerei und ihre traditionellen Techniken und kunsthistorischen Traditionen von Leon Battista Albertis Fenster bis hin zur Camera obscura von Jan Vermeer. Sie werden in Moralès’ Malerei jedoch durch den Computerbildschirm ersetzt. Vor allem die Möglichkeiten der 3D-Techniken von Google Earth faszinieren den Künstler, so der französische Kunstkritiker Léon Mychkine.   Doch anders als die Computerbilder weist die Malerei eine Struktur und Oberfläche auf, wenngleich der Farbauftrag flächig ist. Die weiten Landschaften erinnern nicht zufällig an Videospiele, sondern antizipieren ganz bewusst ihre Ästhetik. Der Vordergrund ist zumeist recht flächig, geometrisch-abstrakt, eine weitere Ebene mit landschaftlichem Terrain, wie Wald oder Gebirgsketten, schließt sich an ihn an. „Es gibt eine Umkehrung der Perspektive im klassischen Sinne, bei der der Hintergrund normalerweise flüchtiger und der Vordergrund detaillierter ist“, so der Künstler im Interview mit Léon Mychkine im Jahr 2022. Indem er den Bildaufbau digitaler Räume imitiert, wird man in das Bild hineingezogen und hat den Eindruck, weiterzoomen zu können. So bezeichnet auch Mychkine die Umkehrung der Perspektive als eines der großen Themen von Moralès’ Malerei. Auch wenn dieser digitale Bilder als Vorlage verwendet, ist seine Malerei dennoch eine Neuinterpretationen. Es stellt sich die Frage für den Künstler, wie diese Interpretation erfolgen soll und kann. Denn die Bilder können nicht als großformatige Prints ausgedruckt werden, ihre Auflösung bliebe summarisch, die Qualität gering. „Die Farben leiden ebenfalls unter dem Druck, auf dem Bildschirm sind sie viel heller, und einige digitale Farben haben nicht einmal eine Entsprechung in der Malerei. Ich muss also zwangsläufig interpretieren, ich muss die Dinge neu suchen, neu produzieren, sie reproduzieren.“ Der Arbeitsprozess umfasst, wie der Künstler erklärt, dabei viele Schritte, von der Umsetzung von Vollflächen und Farbverläufen bis zu hyperscharfen Konturen. Das Ergebnis wirkt technisch und digital und beinhaltet dennoch, so Moralès, die ganze Geschichte der Malerei. Doch sei er nicht daran interessiert, seine eigene gestische Handschrift ins Bild zu setzen, „und so leihe ich mir den Stil der Maschinen, und passend zu der Zeit, in der ich lebe, jenen der digitalen Maschine. [...] Das ist Vermeers Camera obscura, Claudius’ Spiegel und Albertis Fenster in digitaler Version.“ Der Mensch wird in seinen Bildern nicht dargestellt, da er auch in Google Earth nicht vorhanden ist. Der Künstler sieht seine Bilder als Spiegel ihrer Zeit, technologisch, digital. „Sie vermitteln durch die verwendete, für jedermann zugängliche Software eine universelle Sprache.“ Und dennoch, durch das Arbeiten mit digitalen Bildwelten sind auch der malerischen Interpretation selbst Grenzen gesetzt, Parameter wie Licht, Atmosphäre und damit der emotionale Gehalt eines Bildes bleiben zwangsläufig ebenso ausgespart. Eine geometrische, abstrakte Welt ohne Menschen. Und hier sind wir dann wieder bei der Interpretation angelangt.